Unternehmen, die über keine eigene Spritzgussabteilung verfügen, lassen benötigte Kunststoffartikel in der Regel bei spezialisierten Fachfirmen produzieren. Dazu wird eine auf den Artikel abgestimmte Spritzgussform hergestellt, ohne die nicht gefertigt werden kann.
Gerät das beauftragte Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten, kann es notwendig werden, die Spritzgussform abzuholen und die Produktion zu einem anderen Unternehmen zu verlagern. Worauf dabei zu achten ist, welche Probleme entstehen können und wie man sich am besten auf eine Verlagerung vorbereiten kann, haben wir aus den Erfahrungen unserer jahrzehntelangen Praxis zusammengefasst.
Wann ist der richtige Zeitpunkt, um zu handeln?
Eine drohende Insolvenz bei einem Lieferanten ist immer ein heikles Thema, welches ungern aufgegriffen wird. Denn wenn ein bislang guter und zuverlässiger Lieferant in eine Schieflage gerät, ist neben wirtschaftlichen Aspekten immer auch eine emotionale Entscheidung zu treffen, ob und inwieweit man als Kunde seinen Lieferanten weiter unterstützen will.
Wann der richtige Moment gekommen ist, die eigenen Spritzgussformen und Vorrichtungen in Sicherheit zu bringen, ist pauschal auch schwer zu sagen. Sicher ist aber, dass es im tatsächlichen Insolvenzfall schwer bzw. kostenintensiv werden kann, eine Produktion zu verlagern, sofern man nicht gut darauf vorbereitet ist.
Spätestens wenn der Insolvenzfall beim Lieferanten tatsächlich eingetreten ist, werden plötzlich Fragestellungen relevant, die bis dahin keine Rolle gespielt hatten, wie z.B.:
- Gibt es ein Vertragswerk? Wenn ja, was ist dort konkret vereinbart?
- Darf ich die benötigten Vorrichtungen abholen? Wem gehören mir die Betriebsmittel aktuell?
- Bleibe ich noch beim Lieferanten? Bis wann kann mich der Lieferant jetzt noch mit Produkten versorgen?
- Wie weit kann ich die Unterstützung des Lieferanten (z.B. durch Vorkasse) jetzt noch verantworten?
- Gibt es einen Eigentumsnachweis an den Formen und Vorrichtungen?
Zentrale Frage: Wem gehört die Spritzgussform?
Im Falle einer Krise steht einer Produktionsverlagerung häufig im Wege, dass nicht schnell und eindeutig belegbar ist, um wessen EIgentum es sich bei einer benötigten Spritzgussform handelt.
In der Praxis existieren verschiedene Ansätze, wie Kosten für eine Spritzgussform getragen werden.
- Der Auftraggeber bezahlt die Spritzgussform nach Fertigstellung und Qualitätsfreigabe komplett. Bei dieser Variante ist der Eigentumsnachweis einfach nachvollziehbar. Es sollte dennoch nicht versäumt werden, das Eigentum mit einem Typenschild an der Form zu kennzeichnen und zusätzlich über Fotos zu dokumentieren.
- Der Auftragnehmer trägt die Kosten der Spritzgussform und verteilt diese auf eine im Vorfeld verhandelte Stückzahl. Hier trägt der Auftraggeber zwar kein Vorinvest, erzielt aber auch kein Eigentum, solange die verhandelte Stückzahl nicht erreicht wurde.
Hier ist es ratsam, gelieferte Stückzahlen immer nachzuhalten und einen Eigentumsnachweis per Typenschild an die Form anzubringen, sobald die vereinbarte Stückzahl erreicht ist und dies zusätzlich über Fotos zu dokumentieren.
Neben dem Eigentumsnachweis müssen viele weitere Themen angegangen werden.
Im Folgenden haben wir einen Leitfaden erstellt, der helfen soll, an alles zu denken.
Es ist grundsätzlich zu empfehlen, die gesamte Kommunikation mit dem Lieferanten zu dokumentieren (Tag/Uhrzeit/Person)!
Leitfaden zur Schadensminimierung bei einer anstehenden Verlagerung
1. Klärung im Vorfeld
- Gibt es ein Vertragswerk und welche Fristen wurden dort vereinbart?
- Wer hat die Kosten getragen? Wurden bspw. nur anteilige Form-/Werkzeugkosten vereinbart wird es sehr gefährlich!
- Wurde bereits eine Datenrückführung der Formkonstruktion durchgeführt?
- Welche Firma hat die Formen und Vorrichtungen gebaut? Im Falle eines externen Werkzeugbaus: Gibt es parallel Kontakte?
- Wie ist die Reichweite der internen Bestände der betroffenen Artikel? Sollten Sicherheitsbestände aufgebaut werden?
- Gibt es Prüflehren oder Sondervorrichtungen?
- Wird das Produkt in Sonderverfahren wie 2- oder 3-Komponenten-Spritzguss, Gas-Innendruck-Spritzguss gefertigt?
2. Vorbereitung der Verlagerung
- Alternativen Lieferanten suchen, der das Produktspektrum abdeckt
- Mit fachlicher Unterstützung die Betriebsmittel beim Lieferanten vor Ort bewerten
Formen-Gutachten erstellen lassen, wenn es der (schlechte) Zustand der Form erforderlich machen sollte
- Rückhaltemuster der letzten Produktfertigung besorgen
- Rohstoffe übernehmen inkl. Abnahmeprüfzeugnis vom Rohstofflieferanten
- Alternativ: Rohstoff / Granulat beschaffen bzw. den neuen Lieferanten beschaffen lassen
3. Ablauf der Verlagerung beim Lieferanten
- Abholtermin schriftlich ankündigen und vom Lieferanten bestätigen lassen
- Die Abholung mit technischem Fachpersonal aus dem eigenen Betrieb durchführen.
Um Rechtssicherheit zu erhalten, wären zwei Personen vor Ort ratsam (nicht nur einen Spediteur für den Transport beauftragen!) - Die Formen sollten geöffnet bzw. aufgeklappt zur Kontrolle bereitstehen
- Die letzten Teile von der letzten Produktion sollten als Referenz bei der Form liegen
- Neben der Form abzuholen und zu dokumentieren sind (falls vorhanden):
- Alle Unterlagen (digital oder in Papierform)
- Artikelzeichnungen
- Formzeichnungen (Formdaten, Elektroden, CAD Daten)
- Prüfzeichnungen
- Prüfpläne
- Prüflehren
- Montagehilfen / Montagevorrichtungen
- Pressen
- Abkühlstationen für Artikel
- Artikelgreifer Handling
- Nach Prüfung der Formen sowie dem Zubehör und den vorhandenen Unterlagen sollten alle Abweichungen schriftlich oder in Bildform dokumentiert werden.
- Gewissenhafte Prüfung der Lieferpapiere und Unterschrift beider Parteien